Schlagwörter
Dystopie, Gesellschaft, Kurzgeschichte, Medien, Menschen, Werbung
Er saß am Tresen einer von Rauch getränkten Bar, irgendwo in der vergessenen Betonhölle einer Großstadt. Dicke Schwaden strichen über sein Gesicht, krochen in Nase und Mund, wo sie sich mit dem bitteren Geschmack billig produziertem, aber viel zu teuer vertriebenem Bier paarten. Sein Blick huschte unruhig über das vor seinen Augen projizierte User-Interface. Bis auf das gelegentliche Klirren von Gläsern und Besteck war nichts zu hören. Ein kurzer Seitenblick genügte, um zu erkennen, dass die wenigen Kunden der Lokalität sich ausgeklinkt hatten und mit leeren Blicken ins Nichts starrten. Zusammengesackt. Vor ihnen geleerte Shotgläser und noch glimmende Zigaretten in den Aschenbechern. Sie hatten sich gleich doppelt aus der Welt geschossen, nur um sicher zu gehen. Der Mann am Tresen stieß Angesicht diesen Anblicks ein abfälliges Schnauben aus, ehe er sich wieder dem UI zuwandte. Eine kurze Handbewegung und eine weitere Bestellung erreichte den Barmann, der wortlos ein weiteres Getränk auf den Tresen stellte. Mit einem begünstigenden Tonsample wurde die Bestellung bestätigt.
„Möchten Sie ihre Bestellung bewerten?“
Die Schrift leuchtete rot vor seinen Augen auf. Blinkend. Aufdringlich. Ungeduldig wischte er sie zur Seite, während diverse Angebote sein Sichtfeld fluteten. Sie landeten ungelesen irgendwo im unentwegten Datenfluss des Netzes. Lustlos setzte er das Bier an seine Lippen und nahm einen gewaltigen Schluck. Seine Augen klebten unentwegt am Datenstrom. Private Mails, Nachrichten aus der Welt, Unterhaltung in unterschiedlichsten Formen, Fotografien der letzten Urlaubsreise eines angeblichen Bekannten, Katzenvideos. Eine Spur Selbstverachtung spülte durch seine Adern. Für einen kurzen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, seine Implantate zu entfernen und zu einem Häufchen gläsernen Staubs zu zertreten.
„Unzufrieden mit Ihrem Anbieter? Wechseln sie jetzt zum Einsteigertarif von-“
„Verdammt nochmal…“, murmelte er zu sich selbst und strich sich über die müden Augenlider.
„Manchmal kann es ganz schön viel werden, was?“ Die helle Stimme wirkte im sonst stillen Lokal fremdartig und fehl am Platz. „Darf ich?“
„Da sagen Sie was.“, antwortete der Mann mit rauer Stimme. „Nur zu.“
Die Stimme nahm samt ihres äußerlichen Erscheinungsbilds in Form einer jungen Frau neben ihm Platz.
„Ein wenig overdressed für einen Ort wie diesen, meinen Sie nicht?“,bemerkte der Mann, während er seine Augen über die Frau wandern ließ. Angefangen bei ihren lächelnden, grünen Augen über die sanfte Linien ihrer Wangenknochen, den schlanken Körper hinab, der sich unter einem dünnen, knielangen Cocktailkleid verbarg. Er wandte sich wieder der prickelnden Oberfläche seines Biers zu.
„Mag sein“, lachte sie mit sanfter Stimme. „Aber wann bekommt unsereins schon die Gelegenheit sich mal so richtig raus zu putzen?“
„Verstehe, es scheint hier nur niemanden zu geben, der Sie bewundern könnte“ Mit einer Kopfbewegung deutete er in eine Sitzecke, in der eine kleine Gruppe vor sich hinvegeterierte und nichts von ihrer Umwelt wahrnahmen.
„Sie sind hier, oder etwa nicht?“ Sie lächelte und nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. „Irgendwie ist es traurig. Dass es kaum noch Menschen gibt, die sich unterhalten. Ich meine wirklich unterhalten, von Angesicht zu Angesicht und seien es nur ein paar Worte.“
„Ich bin sicher, da wo sie sind, unterhalten sie sich prächtig.“
„Sie wissen, was ich meine.“
Ja, das wusste er. Ein Gespräch. Wie lange war es her, dass er in der Realität von seinen Stimmbändern Gebrauch gemacht hatte?
„Natürlich wissen Sie, was ich meine. Sehen Sie sich um. Einrichtungen wie diese können sich nur halten, weil sie ein Gebühr erheben, unabhängig davon ob es sich um Konsumenten materieller Güter handelt oder ihre Kundschaft lediglich einen Ort sucht, an dem sie sich ausklinken können. Alles läuft nur noch über soziale Medien, VR und UI. Und niemanden scheint es zu interessieren.“
Der Mann zog die Augenbrauen zusammen. Das stetige Blinken, die unentwegte Bewegung des UI verlangte nach seiner Aufmerksamkeit.
„Mag sein.“, sprach er. „Aber wie Sie selbst sagten: es geht nicht mehr ohne. Es ist ein in der Gesellschaft etabliertes System. Never change a winning team.“
„Aber gewinnen wir wirklich? Ohne unsere Implantate sind wir nichts mehr. Sozial abgeschnitten. Einsam.“, murmelte die Frau, beinahe mehr zu sich selbst.
Ihre Miene hatte sich verdüstert und für einen Moment schwieg sie, ehe sie den Kopf schüttelte und erneut lächelte.
„Tut mir Leid. Ich habe heute meine Wohnung verlassen, um mal ein wenig Abwechslung zu bekommen und jetzt quatsche ich dem nächstbesten Typen die Ohren blutig.“
Sie zupfte an ihrem Kleid herum und starrte verlegen auf den Tresen. Er blickte weiter auf das Glas, das er mit beiden Händen umklammert hielt. Das kurze Gespräch war anstrengend gewesen, sowohl auf körperlicher als auch mentaler Ebene. Er suchte nach Worten. Schließlich seufzte er.
„Schon in Ordnung. Es ist angenehm zur Abwechslung eine echte Stimme zu hören.“
Die Frau kramte eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Handtasche. Das Feuerzeug klickte und Augenblicke später gesellten sich frische Rauchschwaden zu ihren abgestanden Geschwistern.
„Auch eine?“
„Ich versuche aufzuhören, aber danke“
„Ist wohl auch besser so. Obwohl mir ein Raucherlokal wohl nicht wie der passende Ort dafür erscheint“
„Kennen Sie denn einen besseren Ort?“ Ihm gefiel, wohin sich das Gespräch entwickelte.
„Tatsächlich tue ich das“ Sie pustete Rauch aus ihren Lungen und grinste ihm dabei frech entgegen. „Es ist ein Ort, an dem Menschen wie wir keine Raritäten sind. Menschen, die stärker sind als der Drang, seine Sorgen in einer Fakewelt zu vergessen, während ihr Leben in der Realität zu Ruinen zerfällt. Wir stellen uns unseren Ängsten, anstatt all unsere Macht darauf zu verwenden, sie zu blockieren und auszusperren. Wir lassen zu, dass die Probleme Besitz von uns ergreifen, sodass sie unser tiefstes Innere in Unruhe versetzen. Wir wissen, dass dieses Gefühl genauso dazu gehört wie Freude, Glück und Liebe. Wir werden wieder Eins mit uns selbst. Wie klingt das für Sie?“
Der Mann schwieg. Blickte in die vor Begeisterung glänzenden Augen der Frau und er spürte, wie sich der altbekannte Knoten in seiner Brust wieder verfestigte. Er zog einen Mundwinkel nach oben.
„Scheiße“, raunt er. „Du bist eine Ad, nicht wahr?“
„Irgendwo müssen wir anfangen“, antwortete sie tonlos. Ihr Glanz war erloschen.
Der Mann schaute sie noch einige Sekunden an. Dann vollführte er eine Reihe an Handbewegungen. Das Abbild begann zu flackern. Für einen kurzen Augenblick glaubte er zu sehen, wie sie noch etwas sagen wollte, doch dann war sie verschwunden. An der Stelle, an der soeben noch eine Frau gestanden hatte, war nun nichts mehr.
„Wäre auch zu schön gewesen“, sprach der Mann und bestellte die nächste Runde.